3.

Online-Vortrag Wahrnehmendes Beobachten

Teil 3: Reflektieren

3. Schritt: Reflektieren

Schaut man sich die Inten­tio­nen an, die mit dem Ein­füh­ren von Beob­ach­tungs- und Doku­men­ta­ti­ons- ver­fah­ren ver­bun­den sind, so steht vor allem die for­schen­de Hal­tung der päd­ago­gi­schen Fach­kraft im Mit­tel­punkt, die ver­sucht, dem Tun der Kin­der auf die Spur zu kommen.

Die Refle­xi­on kann als span­nen­de Ent­schlüs­se­lungs­ar­beit gese­hen wer­den, die uns zu neu­en Erkennt­nis­sen führt. Je nach Beob­ach­tung kann der Fokus inten­si­ver auf eine inhalt­li­che Aus­ein­an­der­set­zung mit den Ent­wick­lungs- und Bil­dungs­pro­zes­sen der Kin­der gelegt wer­den, die auch wei­te­re Über­le­gun­gen zum päd­ago­gi­schen Han­deln beinhal­tet, oder auf die eige­ne Hal­tung, die im han­deln­den Umgang oft zum Aus­druck kommt.

Reflexion mit dem Fokus auf kindliche Bildungsprozesse

Wahr­neh­men­de Beob­ach­tun­gen die­nen dem Ver­such, sich den Bil­dungs­pro­zes­sen und Sicht­wei­sen der Kin­der anzu­nä­hern. Nur so kön­nen die­se Pro­zes­se zur Grund­la­ge eines päd­ago­gi­schen Han­delns wer­den, das den indi­vi­du­el­len Inter­es­sen und Fähig­kei­ten der Kin­der folgt und dabei bezie­hungs­för­dernd wirkt, da Kin­der die­se Art der Wert­schät­zung spüren.

Erfolgt die Refle­xi­on der Beob­ach­tun­gen im Team, erwei­tern die unter­schied­li­chen Per­spek­ti­ven der Team­mit­glie­der den Bedeu­tungs­ho­ri­zont jeder ein­zel­nen Fach­kraft. Ihre Wahr­neh­mungs­fä­hig­keit für die viel­fäl­ti­gen Dimen­sio­nen kind­li­cher Bil­dungs­pro­zes­se schärft sich. Im Inter­pre­ta­ti­ons­pro­zess tra­gen die unter­schied­li­chen Per­spek­ti­ven auf die Situa­ti­on dazu bei, dass eine facet­ten­rei­che Gesamt­sicht ent­steht (vgl. Stae­ge 2009).

Auch kann es zum Bei­spiel span­nend sein, sich die Beob­ach­tung unter den Gesichts­punk­ten früh­kind­li­cher Bil­dungs­pro­zes­se anzu­schau­en und gleich­zei­tig anhand der Beob­ach­tung die Sprach­ent­wick­lung eines Kin­des zu beschrei­ben. Die Video­sze­nen „Meins! Nein, meins!“ und „Wir tele­fo­nie­ren mit­ein­an­der“ zei­gen, wie all­tags­in­te­grier­te Sprach­bil­dung bzw. ‑för­de­rung aus­se­hen kann. Gelingt es päd­ago­gi­schen Fach­kräf­ten, die­se dif­fe­ren­ziert zu beschrei­ben, so könn­te mit einem Ver­fah­ren bei­des abge­deckt werden.

Die Bei­spie­le der Refle­xio­nen in die­sem Buch mit dem Fokus auf kind­li­che Bil­dungs­pro­zes­se zei­gen, wie das Wis­sen aus unter­schied­li­chen Bil­dungs­be­rei­chen genutzt wer­den kann, um die Deu­tungs­kom­pe­ten­zen zu erhö­hen. Wich­tig ist es bei den Refle­xio­nen, auf Lite­ra­tur zurück­zu­grei­fen. Man kann nicht bei jeder Beob­ach­tung jeden Aspekt in der Tie­fe reflek­tie­ren, aber die Aspek­te, die man sich her­aus­sucht, soll­te man auch theo­re­tisch unter­mau­ern kön­nen. Fach­wis­sen zu den ver­schie­de­nen Bil­dungs­be­rei­chen und der Bezug zu wei­te­ren wis­sen­schaft­li­chen Refe­ren­zen spie­len für eine pro­fes­sio­nel­le Deu­tung eine wich­ti­ge Rol­le (vgl. Kie­sel­horst, Breé & Neuß 2013). Die­se Mög­lich­keit zeigt, dass inter­dis­zi­pli­nä­res Arbei­ten und der Ein­satz unter­schied­li­cher Berufs­grup­pen – auch bereits inner­halb eines Fel­des – einen gro­ßen Gewinn brin­gen. Durch die Ein­füh­rung der kind­heits­päd­ago­gi­schen Stu­di­en­gän­ge soll­te es Kindheitspädagog*innen mög­lich sein, die­ses Wis­sen in beson­de­rer Wei­se zu ver­knüp­fen, da in den meis­ten Stu­di­en­gän­gen sowohl Beob­ach­tungs- und Doku­men­ta­ti­ons­ver­fah­ren als auch Bil­dungs­be­rei­che inten­siv behan­delt werden.

Reflexionsfragen als Hilfsmittel für die vertiefte Auseinandersetzung mit kindlichen Bildungsprozessen

Die Refle­xi­ons­fra­gen sol­len dazu die­nen; das Nach­den­ken auf bestimm­te Aspek­te des Bil­dungs­ge­sche­hens zu len­ken, um die­ses tief­ge­hen­der zu ver­ste­hen. Wir emp­feh­len Teams, die in ihrem päd­ago­gi­schen All­tag Wahr­neh­mend Beob­ach­ten, eine regel­mä­ßi­ge Team­re­fle­xi­on ein­zu­pla­nen, in der die Wahr­neh­men­den Beob­ach­tun­gen im Zen­trum ste­hen. Vom Ablauf her könn­te dies so aus­se­hen: Zunächst erzählt eine Fach­kraft so detail­liert wie mög­lich von ihrer Beob­ach­tung. Die Kolleg*innen haben die Mög­lich­keit, Rück­fra­gen zu stel­len. Erst wenn sich alle Betei­lig­ten die Situa­ti­on bild­haft vor­stel­len kön­nen, wer­den die Refle­xi­ons­fra­gen für die Inter­pre­ta­ti­on her­an­ge­zo­gen, um der Bedeu­tung der Situa­ti­on auf die Spur zu kommen.

Im Mit­tel­punkt die­ser Refle­xi­on soll­te immer die Fra­ge ste­hen, inwie­weit die Situa­ti­on kind­li­che Bil­dungs­pro­zes­se zulässt und unter­stützt. Da kind­li­che Bil­dungs­pro­zes­se nicht aus dem Nichts
ent­ste­hen, son­dern immer eine Ant­wort auf vor­ge­ge­be­ne Bedin­gun­gen ent­hal­ten, ist es wich­tig, neben den kind­li­chen Hand­lungs­wei­sen auch All­tags­struk­tu­ren, räum­li­che und sach­li­che Gege­ben­hei­ten sowie päd­ago­gi­sche Hand­lungs­wei­sen kri­tisch in den Blick zu neh­men und zu hinterfragen.

Regel­mä­ßi­ge Refle­xio­nen im Team über Beob­ach­tun­gen aus dem All­tag ermög­li­chen es, päd­ago­gi­sche Hand­lungs­wei­sen gemein­sam zu über­prü­fen. Die regel­mä­ßi­ge Refle­xi­on des eige­nen päd­ago­gi­schen Han­delns gestat­tet es, eige­ne Hand­lungs­wei­sen mit distan­zier­tem Blick und qua­si im Zeit­lu­pen­tem­po zu betrach­ten. Viel­leicht wird durch die Refle­xi­on deut­lich, dass Sie vor­schnell ein­ge­grif­fen und dem Kind dadurch eige­ne Lösungs­we­ge vor­weg­ge­nom­men haben? Dar­aus könn­ten Sie die Kon­se­quenz zie­hen, dem Kind künf­tig mehr Raum und Zeit für eige­ne Erfah­run­gen zu las­sen Die Refle­xi­on könn­te aber auch zei­gen, dass Sie das Kind beim Ver­such, etwas her­aus­zu­fin­den, zu lan­ge allein lie­ßen, sodass es schließ­lich auf­gab. Wäre es sinn­voll gewe­sen, es an die­ser Stel­le zu unter­stüt­zen, durch eine sprach­li­che Beglei­tung oder Anre­gung? Hät­ten Sie in der Rol­le als emo­tio­na­ler Unter­stüt­zer aktiv wer­den kön­nen? Oder indem Sie das Vor­ha­ben des Kin­des gemein­sam mit ihm zu Ende geführt hät­ten? In der Refle­xi­on kön­nen Sie nun der Fra­ge nach­ge­hen, wie und mit wel­chem Impuls Sie das Kind hät­ten unter­stüt­zen kön­nen, sein Vor­ha­ben zu verfolgen.

Die fol­gen­den Fra­gen kön­nen auf ein­zel­ne und auf meh­re­re Kin­der bezo­gen wer­den. Sie die­nen der ver­tief­ten Aus­ein­an­der­set­zung mit der beob­ach­te­ten Situa­ti­on. Gehen Sie alle Fra­gen durch, auch wenn Sie nicht alle Fra­gen beant­wor­ten müs­sen. Ent­schei­den Sie selbst, wel­che Fra­gen für Ihre Beob­ach­tung bzw. auch für Ihre Erkennt­nis­se rele­vant sind. Dadurch, dass sehr unter­schied­li­che Situa­tio­nen wahr­neh­mend beob­ach­tet wer­den kön­nen, sind nicht alle Fra­gen für jede Situa­ti­on glei­cher­ma­ßen geeig­net. Fol­gen­de Fra­gen sind vor allem hilf­reich, um sich die kind­li­chen Bil­dungs- und Ent­wick­lungs­pro­zes­se näher anzuschauen:

Verschiedene Beobachtungen eines Kindes in Beziehung setzen

Die Erkennt­nis­se aus den Beob­ach­tun­gen kön­nen immer wie­der ver­gli­chen wer­den. Die ers­te Form der Über­prü­fung stellt fest, ob wei­te­re Beob­ach­tun­gen mit den bis­he­ri­gen Über­le­gun­gen in Über­ein­stim­mung gebracht wer­den kön­nen. Die zwei­te Form der Über­prü­fung klärt, ob die indi­vi­du­el­len Wahr­neh­mun­gen mit Wahr­neh­mun­gen ande­rer Men­schen zusam­men­pas­sen. In Bezug auf das Kind bedeu­tet dies, dass die Bil­der, die von einem Kind durch Wahr­neh­men­des Beob­ach­ten ent­ste­hen, nicht fixiert sind. Sie ver­än­dern sich ent­spre­chend den Erfah­run­gen, die das Kind macht, und den Situa­tio­nen, die von den Pädagog*innen wahr­ge­nom­men werden.

Es ist sinn­voll, ab und zu in Team-Sit­zun­gen meh­re­re Wahr­neh­men­de Beob­ach­tun­gen zu einem Kind vor­zu­stel­len, die über einen län­ge­ren Zeit­raum von ver­schie­de­nen Pädagog*innen auf­ge­schrie­ben wur­den. Setzt man meh­re­re Beob­ach­tun­gen in Bezie­hung, wird eine wei­te­re Form der Refle­xi­on erreicht: Das Kind wird in mög­lichst vie­len ver­schie­de­nen Situa­tio­nen betrach­tet Fra­gen Sie sich:

  • Wer­den bestimm­te Ent­wick­lun­gen oder Pro­zes­se deutlich?
  • Zei­gen sich bestimm­te Mus­ter, die etwas über die Beson­der­hei­ten oder Vor­lie­ben des Kin­des aussagen?

Unse­re Beob­ach­tun­gen zei­gen, dass Kin­der schon sehr früh Vor­lie­ben für beson­de­re Welt­zu­gän­ge zei­gen. Die einen haben einen aus­ge­präg­ten ästhe­ti­schen Zugang zur Welt und brin­gen sich zum Bei­spiel bereits sehr früh über gestal­te­ri­sche Tätig­kei­ten, Bewe­gung und Tanz zum Aus­druck. Ande­re zei­gen schon sehr früh einen eher natur­wis­sen­schaft­lich aus­ge­präg­ten Zugang: Sie unter­su­chen alles genau, sind oft fein­mo­to­risch sehr geschickt und haben vie­le Fra­gen, mit denen sie sich aus­dau­ernd explo­rie­rend aus­ein­an­der­set­zen. Eine Par­ti­zi­pa­to­ri­sche Didak­tik ermög­licht es Kin­dern, ihren Vor­lie­ben und Poten­zia­len von Anfang an nach­zu­ge­hen, sie aus­zu­bau­en und zu ver­tie­fen. Natür­lich sorgt eine anre­gen­de Umge­bung auch dafür, dass Kin­der die Mög­lich­keit haben, ver­schie­de­ne Welt­zu­gän­ge zu erpro­ben und sie für ihre Welt­zu­gän­ge zu nut­zen. Fokus­sie­run­gen, die von den Kin­dern selbst vor­ge­nom­men wer­den, sehen wir eher als Qua­li­tät und haben kei­ne Sor­ge, dass das Kind nicht genug lernt. Wir ver­trau­en dar­auf, dass die Kin­der – bei einer anre­gen­den Umge­bung – sich in ihrem jeweils eige­nen Tem­po für ver­schie­de­ne Din­ge und auch Welt­zu­gän­ge inter­es­sie­ren und die­sen nach­ge­hen werden.

Neben den Erkennt­nis­sen und päd­ago­gi­schen Kon­se­quen­zen, die aus der Refle­xi­on gezo­gen wer­den, kön­nen die Ergeb­nis­se dafür genutzt wer­den, eine Doku­men­ta­ti­on für das Kind zu schrei­ben, die sei­ne Bil­dungs­pro­zes­se über einen län­ge­ren Zeit­raum dar­stellt. Die­se kann wie­der­um als Grund­la­ge für ein Eltern­ge­spräch genutzt und in der Bil­dungs­do­ku­men­ta­ti­on des Kin­des abge­hef­tet werden.

Verschiedene Beobachtungen eines Prozesses in Beziehung setzen

Wenn Sie einen Spiel­pro­zess, an dem eine Grup­pe von Kin­dern betei­ligt ist, über meh­re­re Tage oder Wochen beob­ach­ten, kön­nen Sie die­se Beob­ach­tun­gen in Bezie­hung zuein­an­der set­zen. Durch die Refle­xi­on meh­re­rer Beob­ach­tun­gen kön­nen Sie even­tu­ell Zusam­men­hän­ge erken­nen, die sich zuvor ledig­lich als ein­zel­ne Situa­tio­nen dar­stell­ten. Mit­un­ter ist es sinn­voll, bewusst nach sol­chen Zusam­men­hän­gen zu suchen, um zu ver­ste­hen, wor­um es den Kin­dern gehen könnte:

  • Wel­che Fra­gen haben die Kinder?
  • Wie ver­su­chen sie, die­sen Fra­gen nachzugehen?
  • Wie gelan­gen sie zu Ein­sich­ten und Erklärungen?
  • Die­se Fra­gen wer­den im Team dis­ku­tiert Dabei wird argu­men­tie­rend nach Bedeu­tun­gen gesucht, Hypo­the­sen wer­den gebil­det, Mög­lich­kei­ten wer­den schrift­lich festgehalten:
  • Gibt es ein bestimm­tes The­ma, das sich durch meh­re­re Beob­ach­tun­gen zieht, auch wenn es auf den ers­ten Blick nicht sicht­bar ist?

In den meis­ten Fäl­len wer­den sol­che The­men aus dem Spiel oder den Hand­lun­gen der Kin­der ersicht­lich. Des­halb ist die wahr­neh­men­de Beob­ach­tung so wich­tig. Aus den Ergeb­nis­sen die­ser Refle­xio­nen, in denen Zusam­men­hän­ge erar­bei­tet und sicht­bar gemacht wer­den, kön­nen wei­te­re päd­ago­gi­sche Hand­lungs­wei­sen über­legt wer­den, die die Kin­der dar­in unter­stüt­zen, ihren The­men wei­ter nach­zu­ge­hen. Außer­dem kön­nen sie als Grund­la­ge für das Erstel­len von Doku­men­ta­tio­nen genutzt werden.

Eigene Wahrnehmungsmuster erkennen

Wer­den Wahr­neh­men­de Beob­ach­tun­gen regel­mä­ßig auf­ge­schrie­ben, kön­nen die­se Doku­men­te auch genutzt wer­den, um eige­ne Wahr­neh­mungs­mus­ter zu ent­de­cken. Zwei Mal im Jahr soll­ten Sie über­prü­fen, ob die Auf­zeich­nun­gen von bestimm­ten Mus­tern durch­zo­gen wer­den. Sie könn­ten sich die Beob­ach­tun­gen zum Bei­spiel unter fol­gen­den Fra­ge­stel­lun­gen anschauen:

  • Habe ich eher ein­zel­ne Kin­der oder Kin­der­grup­pen beobachtet?
  • Habe ich eher akti­ve oder ruhi­ge Kin­der beobachtet?
  • Habe ich eher Jun­gen oder Mäd­chen beobachtet?
  • Wel­che Wahr­neh­men­den Beob­ach­tun­gen habe ich aus­ge­wählt, um sie fest­zu­hal­ten? Las­sen sich Mus­ter oder Vor­lie­ben erkennen?
  • Gibt es Beob­ach­tun­gen, in denen ich auch mein eige­nes Han­deln beschrei­be? Oder liegt der Fokus aus­schließ­lich auf den Tätig­kei­ten der Kinder?
  • Gibt es vie­le Beob­ach­tun­gen aus einem Tätig­keits­be­reich, zum Bei­spiel Kin­der beim Bau­en, wäh­rend ande­re Berei­che nicht auf­tau­chen, zum Bei­spiel das Rollenspiel?

Sol­che Aus­wer­tun­gen kön­nen Ihnen hel­fen zu erken­nen, dass jeder Mensch für bestimm­te Wahr­neh­mun­gen offe­ner ist als für ande­re. Sich sei­ner sub­jek­ti­ven Wahr­neh­mungs­mus­ter bewusst zu wer­den ist Teil pro­fes­sio­nel­len Han­delns und ermög­licht es Ihnen, sich trotz eige­ner Wahr­neh­mungs­vor­lie­ben auch für ande­re Situa­tio­nen zu öff­nen und ihren Bedeu­tun­gen nachzugehen.

Ande­rer­seits kön­nen bestimm­te Stär­ken erkannt und genutzt wer­den: Viel­leicht wird durch die Aus­wer­tung deut­lich, dass eine päd­ago­gi­sche Fach­kraft sich für einen bestimm­ten Bil­dungs­be­reich beson­ders inter­es­siert und die Tätig­kei­ten der Kin­der in die­sem Bereich sehr dif­fe­ren­ziert wahr­nimmt. Viel­leicht las­sen sich in den Beob­ach­tun­gen vie­ler Pädagog*innen sol­che Vor­lie­ben für bestimm­te Bil­dungs­be­rei­che ent­de­cken? Dies könn­te ein Hin­weis sein, sich im Team mit dem Fach­men­schen­prin­zip inten­si­ver aus­ein­an­der zu set­zen (vgl. von der Beek 2020), wo es dar­um geht, dass sich jeder einen inhalt­li­chen Schwer­punkt suchen kann, auf den er sich spezialisiert.

Viel­leicht fällt aber auch auf, dass es zu einem Bil­dungs­be­reich über­haupt kei­ne Beob­ach­tun­gen gibt. Das könn­te dar­auf ver­wei­sen, dass die­sem Bereich in der Ein­rich­tung zu wenig Auf­merk­sam­keit geschenkt wird. Wor­an könn­te das lie­gen? Viel­leicht haben die Kin­der in die­sem Bereich nicht genü­gend attrak­ti­ve Spiel­mög­lich­kei­ten? Um das her­aus­zu­fin­den, sind sol­che Refle­xio­nen nötig. Viel­leicht stellt sich her­aus, dass Ver­än­de­run­gen erfol­gen könn­ten. Danach wird wie­der­um beob­ach­tet: Wie wir­ken sich die Ver­än­de­run­gen auf das Spiel­ver­hal­ten der Kin­der aus?

Über­haupt kann es hilf­reich sein, immer mal wie­der zu über­prü­fen, ob die Sum­me der Beob­ach­tun­gen den Kin­der­gar­ten­all­tag spie­gelt. Feh­len bestimm­te Situa­tio­nen ganz und ste­hen ande­re oft im Zen­trum, soll­te das Team sich fra­gen, wor­an das lie­gen könnte.

Sinn­voll ist es, die Aus­wer­tung an einem Team­t­ag vor­zu­neh­men. Jede päd­ago­gi­sche Fach­kraft kann sich erst ein­mal ihren eige­nen Beob­ach­tun­gen wid­men. Im nächs­ten Schritt tauscht man sich dar­über aus, wel­che Mus­ter man ent­deckt hat.

Reflexionsfragen, die die Interaktionsgestaltung mit Kindern in den Blick nehmen

Wie eine am Kind bzw. an Kin­dern ori­en­tier­te Päd­ago­gik aus­sieht oder wie die Bezie­hungs­po­ten­zia­le ganz kon­kret sicht­bar wer­den, zeigt sich häu­fig in päd­ago­gi­schen Inter­ak­tio­nen. Der All­tag besteht dabei aus vie­len ver­schie­de­nen Arten von Interaktionen.

In einer Par­ti­zi­pa­to­ri­schen Didak­tik spie­len – wie in Kapi­tel 1 beschrie­ben – vor allem die Ver­stän­di­gungs­pro­zes­se eine wich­ti­ge Rol­le. Über Wahr­neh­men­des Beob­ach­ten kann ver­sucht wer­den nach­zu­voll­zie­hen, wel­che kind­li­chen Erfah­run­gen im Mit­tel­punkt des Gesche­hens ste­hen, um anschlie­ßend in der Inter­ak­ti­on an den Rele­vanz­set­zun­gen der Kin­der anzu­knüp­fen. Die­se Inter­ak­tio­nen wer­den als kind­ori­en­tier­te-respon­si­ve Inter­ak­tio­nen bezeich­net (sie­he Nentwig-Gesemann&Nicolai 2014; Alemzadeh 2014). Natür­lich gibt es auch Inter­ak­tio­nen, in denen sich Kin­der am Rele­vanz­rah­men der päd­ago­gi­schen Fach­kraft ori­en­tie­ren. Es han­delt sich um Situa­tio­nen, in denen die Tätig­kei­ten, Ideen und Vor­ga­ben der päd­ago­gi­schen Fach­kraft ein hand­lungs­ori­en­tie­ren­des Modell für die Kin­der dar­stel­len, zum Bei­spiel bei der Fra­ge nach dem Tages­ab­lauf. Eine Par­ti­zi­pa­to­ri­sche Didak­tik unter­liegt dem Anspruch, dass die­se immer wie­der an den Bedürf­nis­sen und Inter­es­sen der Kin­der aus­ge­rich­tet wird und nicht fest­steht. Bei Bedarf – wenn sich abzeich­net, dass päd­ago­gi­sche Fach­kräf­te, Kin­der oder Eltern mit etwas nicht ein­ver­stan­den sind – wer­den gemein­sam neue Struk­tu­ren aus­ge­han­delt, die für alle als befrie­di­gend erlebt wer­den kön­nen (sie­he Kapi­tel 1 des Buchs Wahr­neh­men­des Beob­ach­ten in Krip­pe und Kin­der­ta­ges­pfle­ge). Fol­gen­de Fra­gen kön­nen hilf­reich sein, um sein eige­nes Inter­ak­ti­ons­ver­hal­ten zu reflektieren:

  • Wie ist die Inter­ak­ti­on mit dem Kind gelungen?
  • Neh­men Sie non­ver­ba­le Signa­le des Kin­des auf und gehen respon­siv auf die­se sein?
  • Set­zen Sie selbst non­ver­ba­le Kom­mu­ni­ka­ti­ons­for­men ein? Wenn ja, welche?
  • Hören Sie dem Kind auf­merk­sam zu und ver­deut­li­chen dies dem Kind über Ihre Kör­per­si­gna­le? (Dies zeigt sich z B dar­in, sich auf die Höhe des Kin­des zu bege­ben, dem Kind in die Augen zu schau­en, Kör­per­kon­takt aufzunehmen)
  • Zei­gen Sie sich inter­es­siert für die Anlie­gen, Fra­gen und The­men der Kin­der? Gelingt es Ihnen, gemein­sa­me Auf­merk­sam­keit her­zu­stel­len? Wenn ja, wie? Wenn nein, was war das Problem?
  • Neh­men Sie die Emo­tio­nen des Kin­des ernst und spie­geln diese?
  • Beach­ten Sie bei Ihren sprach­li­chen Äuße­run­gen den Ent­wick­lungs­stand des Kin­des? Wel­che Arten von Fra­gen stel­len Sie?
  • Wird das Kind durch offe­ne Fra­gen ange­regt, von sei­nem Vor­ha­ben zu erzäh­len, wenn es sprach­lich dazu schon in der Lage ist? Wer­den Din­ge für das Kind benannt, die es selbst noch nicht benen­nen kann?
  • Grei­fen Sie die Initia­ti­ven der Kin­der auf? Knüp­fen Ihre Rede­bei­trä­ge an denen der Kin­der inhalt­lich an? Oder grei­fen Sie eher neue The­men auf?
  • Was haben Sie aus der Inter­ak­ti­ons­ana­ly­se gelernt? Wor­auf möch­ten Sie dem­nächst bei Ihrer Inter­ak­ti­ons­ge­stal­tung achten?

Reflexionsfragen für pädagogische Fachkräfte, die das Vertiefen eigener Themen ermöglichen

Eine ande­re Art der Refle­xi­on kann dar­in bestehen, dar­über nach­zu­den­ken, was das kind­li­che Handeln/Verhalten in einem selbst aus­löst bzw. mit einem selbst macht. Gera­de Wahr­neh­men­de Beob­ach­tun­gen von Situa­tio­nen, in denen Sie am Gesche­hen betei­ligt waren, kön­nen hier auf­schluss­reich sein. Grund­vor­aus­set­zung sind Beob­ach­tun­gen, in dem auch eige­ne Wahr­neh­mun­gen und Emp­fin­dun­gen bewusst und als sol­che kennt­lich gemacht fest­ge­hal­ten wer­den. Die Refle­xi­on der Situa­tio­nen dient dazu, rou­ti­nier­te Hand­lungs­wei­sen bewusst zu machen und es zu ermög­li­chen, alter­na­ti­ve Hand­lungs­mus­ter her­aus­zu­ar­bei­ten, um das päd­ago­gi­sche Hand­lungs­re­per­toire zu erweitern.

Bei die­ser zwei­ten Vari­an­te der Refle­xi­on geht es dar­um, sich tief­ge­hen­der mit sich selbst und sei­nen The­men in den Blick zu neh­men und zum Bei­spiel über Fall­be­spre­chun­gen an eige­ne bio­gra­fi­sche The­men her­an­zu­kom­men. In einer Par­ti­zi­pa­to­ri­schen Didak­tik wer­den alle als Ler­nen­de gese­hen. Nicht nur die Kin­der ler­nen dazu, son­dern auch die päd­ago­gi­schen Fach­kräf­te kön­nen durch die Arbeit mit den Kin­dern sehr viel über sich ler­nen, wenn sie sich auf den Pro­zess ein­las­sen. Selbst­re­fle­xi­on erhält in einer Par­ti­zi­pa­to­ri­schen Didak­tik eine gro­ße Bedeu­tung und ermög­licht gleich­zei­tig bedeut­sa­me Bio­gra­fie­ar­beit. Für die­se Art der Refle­xi­on ist eine regel­mä­ßi­ge (Einzel-)Supervision wich­tig, in der päd­ago­gi­sche Fach­kräf­te pro­fes­sio­nell beglei­tet werden.

In einer Kul­tur des Ler­nens sehen wir Situa­tio­nen, die nicht opti­mal lau­fen als Chan­ce zur Wei­ter­ent­wick­lung. Ver­su­chen Sie bewusst hin­zu­schau­en, was in der Situa­ti­on nicht gut gelau­fen ist, was hät­te anders sein kön­nen, um für alle zu einer befrie­di­gen­de­ren Situa­ti­on zu füh­ren. Hier­bei kann sich das Team gegen­sei­tig dabei hel­fen, The­men zu iden­ti­fi­zie­ren und dar­an zu arbei­ten Dafür sind Ver­trau­en und gegen­sei­ti­ge Wert­schät­zung im Team unab­ding­bar. Dies bedeu­tet jedoch nicht, dass alles im Team the­ma­ti­siert wer­den muss; eini­ge per­sön­li­che The­men kön­nen selbst­ver­ständ­lich in Ein­zel-Super­vi­sio­nen bespro­chen wer­den. Eine sol­che pro­fes­sio­nel­le Her­an­ge­hens­wei­se wird in the­ra­peu­ti­schen Berei­chen schon seit Jah­ren prak­ti­ziert und soll­te im Kita-Bereich auch zur Nor­ma­li­tät wer­den. Für die­se Art der Refle­xi­on bie­tet es sich an, wenn jede päd­ago­gi­sche Fach­kraft ihr eige­nes pri­va­tes Notiz­buch hat, in dem Din­ge, die sie beschäf­ti­gen und an denen sie arbei­ten möch­te, notiert wer­den kön­nen, um im Tru­bel des All­tags nicht unterzugehen.

Eine for­schen­de Hal­tung drückt sich dar­in aus, dass man Situa­tio­nen nicht ein­fach hin­nimmt. Man möch­te sie ver­ste­hen, ihnen nach­ge­hen, Lösun­gen fin­den. Es gibt tau­sen­de von Fra­gen, die Sie sich stel­len kön­nen. Bit­te ver­ste­hen Sie die fol­gen­den Fra­gen nur als Anre­gun­gen. Ihre Fra­gen soll­ten Sie aus den Beob­ach­tun­gen Ihres eige­nen All­tags ableiten:

  • War­um lau­fen bestimm­te Tage beson­ders gut, wäh­rend ande­re als sehr anstren­gend emp­fun­den werden?
  • War­um regt mich ein beson­de­res Ver­hal­ten eines Kin­des immer auf? Wel­ches Ver­hal­ten ist das und wann tritt es zuta­ge? Bringt es mich immer an mei­ne Gren­zen oder nur unter bestimm­ten Umstän­den – wenn ja, unter welchen?
  • Auf wel­che Kin­der kann ich wenig empa­thisch bzw. fein­füh­lig reagie­ren? Wüten­de? Ängst­li­che oder Schüchterne?
  • Für wel­che Ver­hal­tens­wei­sen brin­ge ich wenig Ver­ständ­nis auf? Beob­ach­te ich sol­che Ver­hal­tens­wei­sen auch an mir oder bin damit unzu­frie­den? Erle­be ich mich zum Bei­spiel selbst schnell als unsi­cher, könn­te es sein, dass ich auf ängst­li­che Kin­der rasch genervt reagie­re etc. – das Kind wirkt hier wie ein Spiegel.
  • Was genau bringt mich dazu, aus dem Gleich­ge­wicht zu gera­ten und mit den Kin­dern zu schimp­fen, obwohl ich mir bewusst bin, dass dies beschä­mend für die Kin­der ist und sich auf ihr Selbst­bild nega­tiv aus­wir­ken kann?
  • Wann begin­ne ich, Sank­tio­nen zu set­zen oder Wenn-dann-Kon­se­quen­zen zu for­mu­lie­ren? Was macht das mit mir? Was macht das mit den Kindern?
  • War­um wer­de ich sau­er auf die Eltern, wenn ein Kind immer zu spät zum Mor­gen­kreis kommt? Wie könn­te ich das Pro­blem lösen?
  • Benut­ze ich ste­reo­ty­pe oder stig­ma­ti­sie­ren­de Formulierungen?

Auch wenn die For­schung sich noch in den Anfän­gen befin­det, Zusam­men­hän­ge zwi­schen pro­fes­sio­nel­lem Han­deln und bio­gra­fi­schen Erfah­run­gen nach­zu­wei­sen, so gibt es bereits deut­li­che Ten­den­zen, die­se zu erken­nen (vgl. Rothe 2019, S 74) Joa­chim Bau­er, Neu­ro­wis­sen­schaft­ler und Psy­cho­the­ra­peut, schreibt in sei­nem Buch „Schmerz­gren­ze“:

„Ver­schie­bun­gen kön­nen auch die Fol­ge von kind­li­chen Erfah­run­gen sein Expe­ri­men­te an Men­schen­af­fen zei­gen, dass Neu­ge­bo­re­ne und ‚Klein­kin­der‘, die grob oder mit Gewalt behan­delt wur­den, sich spä­ter selbst grob und gewalt­tä­tig gegen­über ihrem eige­nen Nach­wuchs ver­hal­ten. Umge­kehrt zei­gen in der Früh­pha­se des Lebens für­sorg­lich behan­del­te Jun­ge spä­ter als Eltern ihrer­seits ein lie­be­vol­les Ver­hal­ten. (…) In die glei­che Rich­tung gehen­de Beob­ach­tun­gen gibt es beim Men­schen: Säug­lin­ge, die unmit­tel­bar nach der Geburt in der Kli­nik behan­delt wer­den muss­ten und daher not­ge­drun­gen mehr schmerz­haf­te Erfah­run­gen (z B wegen Blut­ab­nah­me) machen muss­ten als ande­re Kin­der, zei­gen als Her­an­wach­sen­de eine erhöh­te Sen­si­bi­li­tät im Bereich eben jener Hirn­re­gio­nen, die für die Wahr­neh­mung der Schmerz­gren­ze – und damit auch für die Aggres­si­ons­aus­lö­sung – zustän­dig sind“ (vgl. Bau­er 2013, S 78 f ).

Auch kön­nen eige­ne bio­gra­fi­sche Erfah­run­gen zu päd­ago­gi­schen Hand­lun­gen ver­lei­ten, die die Kin­der in ihren Erfah­rungs­mög­lich­kei­ten ein­gren­zen „Der Päd­ago­ge, der selbst ein­mal Kind war, muss die­ses Kind in sich mit den Erfah­run­gen, die es geprägt haben, ken­nen, um dann auf das Kind vor sich reagie­ren zu kön­nen und nicht unre­flek­tiert sei­ne eige­nen Ängs­te, Bezie­hungs­er­fah­run­gen, Vor­lie­ben etc. auf das Kind zu pro­ji­zie­ren“ (Bern­feld 1971). Erst durch das Auf­de­cken unre­flek­tier­ter Ängs­te kön­nen Lösun­gen gefun­den wer­den, anders mit Situa­tio­nen umzu­ge­hen Vor­aus­set­zung ist aber: Man muss Ängs­te oder bio­gra­fisch moti­vier­te Begren­zun­gen ken­nen, damit man sie über­win­den oder es ler­nen kann, damit umzugehen.

Durch den enor­men Ein­fluss eige­ner bio­gra­fi­scher Erfah­run­gen kann auch zum Bei­spiel erklärt wer­den, war­um allei­ne das Wis­sen dar­über, dass Kin­der unter drei Jah­ren vor­nehm­lich über explo­rie­ren­des Spiel ler­nen, es einer päd­ago­gi­schen Fach­kraft nicht unbe­dingt ermög­licht, inten­si­ve Explo­ra­tio­nen von Kin­dern im päd­ago­gi­schen All­tag zuzu­las­sen. Es hängt auch davon ab, inwie­fern sie selbst einen Zugang zu die­ser Art des Ler­nens als Kind erle­ben oder als Erwach­se­ne nach­ho­len konn­te, um die­se Akti­vi­tä­ten nach­voll­zie­hen und jetzt in ihrem beruf­li­chen All­tag zulas­sen zu können.

Erleb­te Erzie­hungs­me­tho­den, die nicht mehr zum heu­ti­gen Bild vom Kind pas­sen, kön­nen Spal­tun­gen zwi­schen bewuss­tem Han­deln oder Den­ken und Han­deln aus früh­kind­li­chen Prä­gun­gen her­aus erklä­ren und soll­ten nicht unter den Tisch gekehrt, son­dern als Anlass für pro­fes­sio­nel­le Refle­xio­nen genutzt werden.

Neben den per­sön­li­chen, bio­gra­fi­schen Erfah­run­gen, die zu belas­ten­den Erfah­run­gen füh­ren kön­nen, gibt es in der Kita mitt­ler­wei­le zahl­rei­che wei­te­re Belas­tungs­fak­to­ren (vgl. Boll & Rem­s­per­ger-Kehm 2020), die zu einem Han­deln gegen den eige­nen Anspruch füh­ren und von den päd­ago­gi­schen Fach­kräf­ten selbst als belas­tend emp­fun­den wer­den (Schrey­er et al. 2014, S 156). Die­se kön­nen ins­be­son­de­re auf die Fol­gen des Per­so­nal­man­gels zurück­ge­führt wer­den, die die Fach­kraft-Kind-Rela­ti­on wei­ter ver­schlech­tern und päd­ago­gi­sche Fach­kräf­te an ihre Gren­zen brin­gen. Vier­ni­ckel und Voss haben bereits 2012 nach­ge­wie­sen, dass grö­ße­re Grup­pen­stär­ken „mit gerin­ge­rer Sen­si­ti­vi­tät und Respon­si­vi­tät sowie ver­mehrt ein­schrän­ken­dem und direk­ti­vem Ver­hal­ten“ der Fach­kräf­te ein­her­geht (Vier­ni­ckel & Voss 2012, S 41).

Auch der Umgang mit beson­de­ren oder her­aus­for­dern­den Kin­dern, die bis zu 15 Pro­zent in der Kita aus­ma­chen, führt zu Belas­tun­gen bei den päd­ago­gi­schen Fach­kräf­ten (Nürn­berg 2018, S 18; Vier­ni­ckel & Voss 2012, S 166). Rem­s­per­ger und Boll ver­gli­chen ver­schie­de­ne Stu­di­en, die sich mit den Belas­tun­gen päd­ago­gi­scher Fach­kräf­te aus­ein­an­der­set­zen, und kom­men zu dem Schluss, dass durch unzu­rei­chen­de Arbeits­be­din­gun­gen und eine gro­ße Erschöp­fung der Fach­kräf­te die Signa­le und Bedürf­nis­se der Kin­der zuwei­len gar nicht erst wahr­ge­nom­men wer­den kön­nen und The­men von Kin­dern unbe­ach­tet blei­ben (Rem­s­per­ger 2011; Wild­gru­ber et al. 2016; Rem­s­per­ger-Kehm 2017; Rem­s­per­ger-Kehm & Boll 2020).

All die­se Über­for­de­run­gen, die eigent­lich auf der Struk­tur­ebe­ne zu lösen wären, wir­ken sich stark auf der Bezie­hungs­ebe­ne aus und füh­ren zu nicht fein­füh­li­gem Ver­hal­ten oder sogar zu päd­ago­gi­schen Hand­lungs­wei­sen, die zu Grenz­über­schrei­tun­gen füh­ren kön­nen, zum Bei­spiel durch Nicht­be­ach­tung, Aus­gren­zung, Maß­re­ge­lung, Iso­la­ti­on, Stig­ma­ti­sie­rung (bezug­neh­mend auf Gau­ly 2018). Falls in der Kita sol­che Ver­hal­tens­wei­sen auf­tre­ten, ist es wich­tig zu erken­nen, dass hier auf Struk­tur­ebe­ne drin­gend Maß­nah­men ange­setzt wer­den müs­sen, die dazu füh­ren, eine bes­se­re Arbeits­si­tua­ti­on für die päd­ago­gi­schen Fach­kräf­te zu schaf­fen und im Team Mög­lich­kei­ten zu fin­den, in denen über die­se Situa­tio­nen in einem pro­fes­sio­nel­len Rah­men gespro­chen und nach Lösun­gen gesucht wer­den kann. Auch Super­vi­si­on oder the­ra­peu­ti­sche Maß­nah­men sind in sol­chen Fäl­len drin­gend zu emp­feh­len, um hier pro­fes­sio­nell zu reagie­ren Kei­nes­falls darf grenz­über­schrei­ten­des Han­deln in der Kin­der­ta­ge­stät­te tabui­siert wer­den; Pro­fes­sio­na­li­tät zeigt sich dar­in, sol­che Situa­tio­nen zu erken­nen und nach Lösun­gen zu suchen.

Es wur­de deut­lich, dass es sehr vie­le ver­schie­de­ne Mög­lich­kei­ten zur Refle­xi­on des päd­ago­gi­schen All­tags gibt. Wich­tig ist, dass Sie auf der Struk­tur­ebe­ne dafür sor­gen, dass Sie regel­mä­ßig Zei­ten zum Reflek­tie­ren ein­pla­nen. Wel­che The­men dann im Fokus der Team­sit­zun­gen ste­hen, hängt von der jewei­li­gen Aus­gangs­si­tua­ti­on in Ihrer Ein­rich­tung ab. Wäh­rend Refle­xio­nen mit dem Schwer­punkt auf kind­li­chen Bil­dungs­pro­zes­sen Teil der Team-Gesprä­che sein könn­ten, sind Refle­xio­nen bezüg­lich eige­ner bio­gra­fi­scher The­men vor­ran­gig in Super­vi­sio­nen zu verorten.

Literatur

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